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| roman | „treibsand“
– der nordsee-krimi von christian uecker
Folge 14: Rache einer Frau
Im Gespräch mit Kattrin Engels über ihren Ex-Mann Lorenz Schmidt
erfährt Pastor Falke die wahren Gründe für die lesbische Beziehung
„Ich habe Ihren Mann nicht verraten, Frau Boysen.“
Frank Falke befand sich im Erklärungsnotstand. „Überhaupt, verraten, was für ein Wort, es geht doch immerhin um einen Mordfall.“
„Ich weiß. Und Sie haben mich nach Okkes Familie ausgefragt.“ Sie stellte das Frühstückstablett, das sie ihm ins Zimmer gebracht hatte, auf den Nachttisch. „Danach haben Sie es sofort der Polizei erzählt.“
„Nein, habe ich nicht.“ Er zögerte, spürte, wie er wütend wurde. Der Kopf schmerzte immer noch, selbst wenn er sich schon besser fühlte als gestern Abend, auch die Schrammen an Arm, Bein und Gesicht brannten.
„Mir brauchen Sie nichts erzählen, Herr Pastor. Sie haben ...“
„Nun hören Sie schon endlich auf!“ Er schrie sie beinahe an. Sie wandte sich zur Tür.
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Der Totenschein ... Andererseits, warum sollte er sich die Mühe machen, diese dickschädelige Insulanerin überzeugen zu wollen? Er versuchte es trotzdem: „Halt, warten Sie!“
„Was ist noch?“
„Warten Sie, der Totenschein. Sie haben mir doch den Rest von diesem Totenschein gezeigt. Und ich habe es dem Kommissar nicht erzählt. Das können Sie überprüfen.“
Warum eigentlich nicht? Weil er doch auf eigene Faust ermitteln wollte? Es war sicher nicht die Rücksichtnahme auf seine Gastgeber, die ihn dies hatte für sich behalten lassen.
„So?“ Frauke Boysen runzelte die Stirn. „Haben Sie nicht?“
„Fragen Sie Ihren Mann, ob die Polizei davon wusste.“
„Werd ich. Und wenn ...“ Es war fast komisch anzusehen, wie sie plötzlich verlegen wurde. „... Na dann tut mir das Leid. Wenn das stimmt“, fügte sie energisch hinzu. „Bis gleich. Sie ve“rschwand in der Tür.
Sein Zorn verrauchte. Weich gekochte Eier, Butter, Brötchen und Brot, Marmelade, Wurst, Käse, Joghurt – die Mengen hätten gut für zwei bis drei Personen gereicht. In den wachen Stunden war er immer wieder in Gedanken den Weg zum Quermarkenfeuer gegangen, hatte verzweifelt versucht, sich an irgendetwas zu erinnern, was einen Hinweis bedeuteten konnte. Soviel war ihm inzwischen klar, der Täter musste irgendwo in der Nähe in einem der Dünentäler gesteckt haben. Durch das laute Gespräch mit den alten Leuten war er – oder war es eine Sie – auf ihn aufmerksam geworden. Aber wer? Immer wieder war er die Reihe der Mitbewohner der Pension durchgegangen, ohne sich entscheiden zu können. Rein gefühlsmäßig hätte er auf Detlef Knapproth getippt, aber der hatte für die Mordzeit zumindest ein Alibi. Oder auf Kattrin Engels. Es half nichts, er tappte im Dunkeln.
All seine Gedanken waren falsch gewesen, alle Theorien, den Fremden betreffend. Auch die These war nicht mehr haltbar, dass ein Dichter seinen Lesungsplan beim Mord verloren und sich dann durch einen Einbruch in Lorenz Schmidts Zimmer einen neuen besorgt hatte. Das blutige Blatt an der Odde hatte wohl Lorenz Schmidt gehört. Er fragte sich, ob dies von der Polizei schon überprüft worden war. Und Okke Boysen hatte zwar den Totenschein aus dem Zimmer entwendet, aber nichts anderes.
Er beendete das Frühstück, stellte das Tablett vorsichtig zur Seite.
„Hat´s geschmeckt?“ Frauke Boysen kam ins Zimmer. „Tut mir Leid mit vorhin.“
Mehr sagte sie nicht. Er fragte, ob Frau Engels im Hause sei und ob sie vielleicht bei ihm vorbeischauen möge. Frauke Boysen nickte, versprach es auszurichten, packte das Tablett, entschwand.
„Sie wollten mich sprechen?“ Kattrin Engels betrat das Zimmer. Keine fünf Minuten waren vergangen.
„Sie waren mit Lorenz Schmidt verheiratet?“
„Nicht so laut.“ Kattrin Engels schloss eilig die Zimmertür hinter sich, starrte ihn an. „Was soll das werden? Ein Verhör? Wollen Sie auch noch Polizist werden?“
„Ich will verstehen. Wo waren Sie gestern Nachmittag?“
„Was geht Sie das an?“
„Ich bin niedergeschlagen worden.“
„Und das gibt Ihnen das Recht, mich auszufragen? Was hatten Sie auch bei diesem Leuchtturm zu suchen? Das ging Sie doch nichts an.“
Er wurde milder. „Wollen Sie sich nicht setzen?“
Kattrin Engels antwortete nicht. Sie machte ein paar Schritte ins Zimmer hinein, schien ins Nichts zu blicken, warf einen Blick aus dem Fenster. „Schöne Aussicht. Man kann das Seehospiz von hier sehen.“ Sie zögerte. „Und die Odde.“ Sie drehte sich um, setzte sich, rückte den Stuhl deutlich vom Bett ab. „Warum fragen Sie mich das? Nur weil Sie geschlagen worden sind?“
Falke bemühte sich um einen sachlichen Ton. „... weil ich verstehen möchte, was geschehen ist. Mit Herrn Schmidt und mit mir. Zum Beispiel: Warum soll niemand wissen, dass Sie mit Lorenz Schmidt verheiratet waren?“
„Die Polizei weiß es doch. Und Ihnen hat es auch einer gesagt. Knapproth vermute ich, das sieht ihm ähnlich. Nur ... Sybille weiß es nicht.“
Er nickte.
„Wollen Sie wissen, was ich am Sonntag gemacht habe? Darum geht es Ihnen doch. Oder?“
„Was haben Sie gemacht?“
„Ich ...“ Sie faltete ihre Hände, ließ die Knöchel knacken. Ein unangenehmes Geräusch. Er hatte es schon öfter bei ihr gehört. „Dass ich Lorenz bei diesem Friedhof der Vermissten getroffen habe, wissen Sie. Sie waren ja dabei. Lorenz hat mich dann zum Essen eingeladen. So war er immer, eklig korrekt. Glauben Sie ja nicht, dass er etwas von mir wollte oder mir etwas Gu-tes tun wollte. Von wegen. Er fand lediglich, dass es sich so gehörte. Der Herr lädt die Dame zum Essen ein. Und ich hatte etwas mit ihm zu besprechen ...“
„Was?“
„Etwas Privates. Verdammt noch mal, das geht Sie nun wirklich nichts an.“
„Ent ...“ Frank Falke vollendete das Wort nicht. Nein, er wollte sich nicht entschuldigen. Er wollte etwas wissen. „Und dann?“
„Sybille hat uns nachspioniert. Ich sah sie plötzlich am Fenster stehen, wie sie uns mit aufgerissenen Augen ansah. Diese verdammte Eifersucht. Irgendwie war sie dahintergekommen, dass ich etwas mit ihm gehabt hatte. Und ... Ach ... ich bin jedenfalls raus und hab sie weggeschickt. Wir haben uns gestritten. Und sie ist auch nicht wirklich weggegangen. Als ich mit Lorenz in mein Auto stieg, war sie wieder da. Ich habe uns beide ...“, Kattrin Engels zögerte, „Lorenz und mich, meine ich, dann hierher zur Pension gefahren. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Ich bin dann zu unserem Strandkorb und habe auf Sybille gewartet. Sie kam nicht. Ich habe sie im Ort gesucht, wieder zurück zum Strandkorb ... Sie glauben das ja doch nicht, aber ich machte mir Sorgen um sie. Doch sie war nicht da.“
Kattrin Engels lachte bitter. „Inzwischen weiß ja jeder, wo sie war, ich auch. Reicht Ihnen das?“
„Was für ein Mensch war Lorenz Schmidt?“
Sie sah ihn ernst an. „Wollen Sie das wirklich wissen?“
„Ja.“ Er schaute ebenso ernst zurück.
„Ein Scheusal, ein Schwein, wenn Sie es genau wissen wollen. Mein Mann. Niemand konnte einen so demütigen wie Lorenz es tat. Niemand wird es je wieder wagen. Er bemerkte es nicht einmal. Wenn man Lorenz erschießen würde, würde er einen wahrscheinlich darauf hinweisen, dass man die Pistole falsch anfasst. Haben Sie einmal erlebt, dass ein Ehemann der ganzen Partygesellschaft laut dozierend erklärt, warum seine Frau zu viel trinkt, warum mehr als 0,348 Promille schädlich sind – insbesondere für seine Frau – und dann zu guter Letzt noch allen erklärt, unter welchen Krankheiten sie leidet und welche Tabletten sie nimmt? Ich hätte ihn umbringen können. Dabei meinte er es nicht einmal so. Es ging ihm nur darum, dass alles richtig war. Lorenz wusste natürlich, was richtig war. Immer. Ein Roboter. Ein gottverdammter Roboter. Aber am schlimmsten ...“
Sie stand plötzlich auf, ging erneut zum Fenster, sah hinaus. Frank Falke wartete. Schließlich drehte sie sich ruckartig um, sah ihn mit festen Augen an. „Am schlimmsten war es im Bett. Ich glaube, er hatte alles aus einem Lehrbuch. Nein, ich weiß es, er hat mir das Ding gezeigt. Sex war die korrekte Ausführung von Stellungen, und wehe, wenn seiner Meinung nach etwas nicht stimmte.“ Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. „Er hat mich verletzt.“ Stille entstand. Dann ganz leise: „Ich hasse ihn. Ich hätte ihn gerne getötet. Man bekommt nicht alles, was man sich wünscht.“
„Und Frau Marxen?“
„Die?“ Sie drehte sich um. Plötzlich lachte sie. „Ich wusste, es würde ihn verrückt machen. Lesbische Liebe, seine Frau mit einer anderen Frau zusammen, das hat er sich nicht vorstellen können. Und Sybille ...“
Frank Falke musste tief durchatmen. „Lieben Sie sie denn nicht?“ entfuhr es ihm.
„Sybille?“ Ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ich spiele manchmal Theater, Herr Pastor.“ Das Grinsen wurde breiter. „Finden Sie heraus, wann.“ Sie ging.
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