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| roman | „treibsand“
– der nordsee-krimi von christian uecker
Folge 13: Die Untersuchung
Die Polizei vernimmt Zeugen und Verdächtige. Aber kaum jemand
kann wirklich beweisen, wo er zur fraglichen Zeit gewesen ist.
„Aber warum
hat er dann den Leichnam von Lorenz Schmidt verschwinden lassen wollen?“
„Warum er die Leiche verschwinden ließ?“ Carsten Wegener schmunzelte. Ein Gefühl von Überlegenheit stellte sich ein. „Das ist doch ganz einfach: Als Zeuge, der die Leiche fand, hätte er seine Personalien angeben müssen. Da hätten wir ihn natürlich erkannt. Er wusste ja, dass er gesucht wurde. Dort oben an der Odde nach dem Leichenfund einfach weiterzugehen war ihm auch zu riskant. Jemand hätte ihn sehen können, ihm auf dem Rückweg begegnen können, dann wäre er nicht nur als Zeuge, sondern auch als Verdächtiger in unser Visier geraten. Das Einfachste war, den Leichnam ins Wasser zu befördern und schnell zu verschwinden. Niemand hätte ihn mit der Angelegenheit in Verbindung gebracht, wenn bald darauf die Leiche an Land getrieben wäre. Sein Pech nur, dass Sie daherkamen. Übrigens, gesehen hat er niemanden.“
„Ich hoffe inständig, dass alles bald vorbei ist,“ sagte Frank Falke. „Haben Sie den Täter gefunden?“
„Den Mörder von Lorenz Schmidt? Nein, noch nicht. Wir haben da gewisse Ideen, aber ... Und denjenigen, der Sie niedergeschlagen hat? Auch noch nicht. Wobei es sich vermutlich um dieselbe Person handelt.“
„Ja, das denke ich ... Oh, dieser Kopf. Das denke ich auch, wollte ich sagen.“
Es muss je„mand von den Pensionsgästen getan haben“, begann Frank Falke erneut zu überlegen. „Mich niederzuschlagen, meine ich. Wissen Sie ... wissen Sie schon, was die Einzelnen getan haben?“
„Noch nicht bei allen. Im Augenblick sitzen zwei meiner Kollegen unten und befragen alle genau. Aber nach dem, was ich vorhin hörte, sieht es schlecht aus. Jeder war irgendwo, ohne exakte Zeugen. Der Einzige, von dem wir schon eine konkrete Aussage haben und sie auch schon überprüft haben, ist Herr Hagedorn. Er war bis kurz nach drei am Leuchtturm ...“
„Ich habe ihn da hingeschickt.“
„Ich weiß. Er hat eine Eintrittskarte vom Leuchtturm und kann die Gegend gut beschreiben. Also sollte man annehmen, dass er wirklich da war. Andererseits erinnert sich die Frau an der Kasse nicht an ihn. Sehen Sie, das ist es, was ich meine. Er war wohl da, aber man erinnert sich nicht. Warum auch, bei hunderten von Menschen, die täglich den Leuchtturm besteigen?“
„Ich verstehe. Warum wurde ich niedergeschlagen? Warum die Verabredung, wenn es nicht um ein Treffen mit diesem Herrn Hahnenkamp ging?“
„Ich weiß nicht.“
„Vielleicht die Erbschaftsgeschichte. Vielleicht war es so ...“ Frank Falke sah ihn verblüfft an. „Warum lachen Sie?“
„Weil wir den Erben gefunden haben. Es ist Herr Boysen. Und der kann Sie nun wirklich nicht niedergeschlagen haben. Er saß ab Viertel vor drei bei uns und wurde befragt.“
„Oh ja.“ Deutliche Enttäuschung zeigte sich im Gesicht von Frank Falke. „Aber dann ... Herr Boysen ist der Nachkomme Karls?“
„Genau. Hans, das ist der wirkliche Name des Vermissten, war sein Vater. Am Tage des Mordes, am Sonntag Mittag hat ein Gespräch zwischen Lorenz Schmidt und Herrn Boysen stattgefunden. Schmidt hat ihm alles erzählt und gedroht, die Geschichte vor Gericht zu bringen. Das heißt, eigentlich nicht gedroht.“
Carsten Wegener dachte an das Gespräch mit Herrn Boysen zurück, wie jener zuerst zögernd, dann aber sichtlich erleichtert ihm alles erzählt hatte. Und doch hatte ihn das Gefühl nicht verlassen, dass ihm Herr Boysen etwas verheimlichte. „Herr Boysen hat es nicht verstanden. Lorenz Schmidt hat ihm die Geschichte erzählt, als ob ihn das nichts anginge. Die beiden haben sich dann gestritten. Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass Herr Boysen mit seinem Bruder wegen der Erbschaft des Hauses im Streit liegt.“
„Nein, das wusste ich nicht.“
„Herr Boysen sagte, seine Angst wäre gewesen, sein Bruder könne aus der Geschichte Vorteile ziehen. Zum anderen hätte er nun endlich gewusst, wo sein Vater begraben liege.“
„Die Blumen am Grab auf dem Friedhof der Unbekannten.“
„Sie haben sie auch gefunden?“
„Ja. Und ist er der Täter?“
„Ich glaube nicht. Er sagt, er sei mit dem Fahrrad den Wattweg entlang gefahren, bis zu der Stelle, wo das Kreuz mit der Bibel ist. Dort habe er sich hingesetzt, um nachzudenken. Gesehen habe ihn niemand, jedenfalls kann er sich nicht daran erinnern, so sagt er. Es war ja auch schlechtes Wetter. Von einem Totenschein will er allerdings nichts wissen. Das glaube ich nicht ganz, vermutlich hat er den Schein gestohlen. Aber das kann man nur schwer nachweisen.“
„Also können wir ihn streichen.“
Carsten Wegener musste lachen. „Sie brauchen niemanden zu streichen. Sie sind krank und liegen im Bett. Danken Sie Gott, dass Sie so viel Glück gehabt haben. Ihr Beruf ist das Predigen. Wir, wir werden den Täter finden.
Wer könnte es sein?“ Frauke Boysen empörte sich. Die Polizeibeamten hatten auch sie verhört, hatten sie nach jenem Zettel vom gestrigen Abend gefragt, ob sie die Schrift erkannt und wer ihn mitgenommen hätte. Sie hatte keine Ahnung. Sogar nach einem Alibi für die Zeit, da der Pastor niedergeschlagen worden war, hatte sich ein junger Beamter er-dreistet zu fragen! Sie! Frauke Boysen – die noch nie mit der Polizei Kummer gehabt hatte. Wo sollte sie schon gewesen sein, im Haus natürlich. „Ein Mörder in unserem Haus! Und dann auch noch den Pastor niederzuschlagen! Ich werf die ganze Bande raus.“
„Nun mal ruhig, Frauke.“
„Sei du bloß still, Okke Boysen. Nach dem, was du mir angetan hast.“
„Aber Frauke ...“ Okke saß am Küchentisch, spielte unruhig mit einer unangezündeten Zigarette. „Ich habe dir nichts getan, das weißt du. Und weißt du, was Redlef gemacht hätte, wenn er die Geschichte von unserem Vater erfahren hätte? ... keine Ruhe gegeben, bis wir alle am Hungertuch genagt hätten. So ist das doch.“
„Du und Redlef. Ihr solltet euch endlich vertragen.“
„Nein.“ Okke Boysens Gesicht verfinsterte sich. „Nicht mit Redlef, Frauke, so Leid es mir tut.“
Er erhob sich, fischte sein Feuerzeug aus seiner Tasche. „Ich gehe jetzt rauchen.“
„Du hättest mir die ganze Geschichte erzählen sollen.“
„Ja.“ Er schaute zu Boden. „Mein lieber Mann, Okke Boysen, ich hätte der Polizei doch nie was von dem Totenschein erzählt, wenn ich gewusst hätte, dass du ihn genommen hast. Du bist auch einer, Okke. Hältst immer lieber den Mund. Was hast du eigentlich mit dem Schein gemacht?“
„Hab ich verbrannt.“
Sie nickte. Daher also der verkohlte Fetzen Papier, den sie im Haus gefunden hatte. Wahrscheinlich war er an Okkes Schuh haften geblieben, als er das Feuer ausgemacht hatte. Und sie musste ausgerechnet dem Pastor davon erzählen. „Und den Pastor ... den werf ich auch raus, sobald der wieder gehen kann. Das gehört sich doch nicht, seine Gastgeber anzuzeigen, wo du gar nichts getan hast. Aber das mit dem Schein war nicht in Ordnung. Überhaupt: Das sind die letzten Gäste, die mir ins Haus kommen, das kannst du glauben. Ich mag nicht mehr. Und du“, sie sah ihn kopfschüttelnd an, „du warst wirklich bei der Polizei, als das mit dem Pastor geschah?“
„Kurz danach, ja.“ Er sah ihren fragenden Blick. „Ganz kurz danach. Du glaubst doch nicht etwa...“
An der Küchentür klopfte es. Ein älterer Kriminalbeamter schaute herein.
„Wir sind mit den Befragungen fertig, Frau Boysen.“
Sie beschloss, nach den Gästen zu sehen, die sich schweigend in der Gaststube versammelt hatten. „Einfach den Pastor niederzuschlagen ...“ Herr Hagedorn saß völlig geknickt auf einem der Stühle.
„Es war bestimmt einer von denen.“ Sybille Marxens zeigte mit dem Finger in die Runde. Ihre Stimme hatte wieder diesen hysterischen Unterton, den sie schon einmal bei ihr gehört hatte. „Einer. Wir anderen sind unschuldig. Wir haben ihn nicht umgebracht.“
„Sie hat Recht.“ Ingmar Hagedorn nickte. Er war kaum zu hören. „Das muss einer von uns gewesen sein.“
„Dann hat auch einer von uns Lorenz umgebracht.“ Kattrin Engels faltete die Hände, presste ihre Handflächen zusammen. „Wer von euch ...“
„Was geht das überhaupt den Pastor an?“ Sybille Marxen unterbrach sie. „Uns nachzuschnüffeln. So jemand will Pastor sein.“
„Der Pastor interessiert sich dafür.“ Detlef Knapproth grinste schief. „Oder hat er Sie noch nicht ausgefragt. Mich schon.“ Das Grinsen verschwand. „Meinetwegen kann er fragen, was er will. Mir doch egal.“
„Und Sie haben ihm dabei geholfen.“ Sybille Marxen wandte sich an Ingmar Hagedorn. „Vielleicht haben Sie ihn auch geschlagen. Sie wussten ja, wo er war.“
„Ich ... ich war am Leuchtturm. Er hatte mich gebeten, dorthin zu fahren und ...“
„Für den Pastor tun Sie alles.“
„Ich wollte das nicht. Es war nicht richtig.“ Seine Stimme wurde immer leiser. „Es war nicht richtig, das habe ich ihm auch gesagt, aber ...“
„Ich war am Strand.“
„Nanu, diesmal kein Alibi, Herr Knapproth?“
„Was soll das heißen? Wo waren Sie denn, Frau Engels?“
„Ich bin spazieren gegangen.“
„Ach, vielleicht am Quermarkenfeuer? Mit einem Stein in der Hand?“
„Gott sei Dank lebt der Pastor noch.“ Ingmar Hagedorn seufzte.
„Hallo Oma! Tag Opa!“ Jessica kam herein. Sie strahlte über das ganze Gesicht.
„Dir scheint das ja gut zu gehen.“
„Ja, Oma. Ich weiß was ... Aber verrat ich nicht.“ Sie grinste.
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