EVANGELISCHE ZEITUNG
   



| roman |  „treibsand“  –  der nordsee-krimi von christian uecker

Folge 8:  Ein Geständnis

Alle rätseln, wer wohl der Mörder von Lorenz Schmidt ist.
Boysen-Enkelin Jessica verrät Pastor Falke ein Geheimnis.

„Soviel ich weiß, war dieser Pastor heute in Kiel, um ihn zu identifizieren. Sie haben da ein ganz effektives Computerprogramm, sagte man mir. Bei mir war die Polizei auch. Nur weil ich dummerweise gestern Nachmittag in Schmidts Zimmer gewesen bin. Na, wir werden wohl alle befragt, das gehört dazu, Sie ja auch“ , sagte Schneiber. Die beiden Frauen nickten.
    „Aber um noch einmal auf Knapproth zurückzukommen ...“
    „Ja?“
    „Sein ganzes Alibi besteht in der Aussage von Herrn Hagedorn. Und wie eilig er es hatte, es hinauszuposaunen. Da stimmt etwas nicht, bei Gott, das können Sie mir glauben.“
    Dr. Schneiber dachte laut nach. „Zuerst sollten wir Herrn Hagedorn einmal gründlich befragen.“ Er schaute sich instinktiv um, sah Ingmar Hagedorn unschlüssig im Eingang der Bar stehen. „Da drüben ist er. Warten Sie einen Augenblick!“
    Er stand auf, ging hinüber zu Ingmar Hagedorn, bat ihn zu sich an den Tisch.
    „Haben Sie etwas dagegen, wenn Pastor Falke auch mitkommt?“ Ingmar Hagedorn deutete auf den Pastor, der neben ihm stand. Dr. Schneiber seufzte. Wenn das so weiterging, wurden dieser Pastor und Hagedorn auch so ein Pärchen wie Marxen und Engels. Na, so vielleicht nicht.
    „Nein, natürlich nicht.“
    Sie gingen hinüber, setzten und begrüßten sich.
    „Na, wie war es in Kiel, Herr Falke?“ Kattrin Engels schaute den Pastor neugierig an.
    Pastor Falke zuckte mit den Achseln. „Na ja, ich weiß nicht so recht. Vielleicht ist es mir ja gelungen, das Gesicht dieses Fremden zu beschreiben. Vielleicht. Ich bin nicht sicher.“
    „Hätten Sie nicht Lust, morgen zu uns zu kommen, Pastor Falke? Unser Verein führt seine Jahreshauptversammlung durch, Gäste sind zugelassen. Und es gibt auch fördernde Mitglieder. Wäre das nicht was?“
    „Danke, aber ... morgen beginnt der Klausurkonvent der Pastoren. Deswegen bin ich ja hergekommen.“
    Schneiber wandte sich Ingmar Hagedorn zu, „was ich eigentlich fragen wollte, Herr Hagedorn, bezieht sich auf Ihr Alibi.“
    „Mein Alibi?“ Ingmar Hagedorn sah ihn verwirrt an. „Welches Alibi? Ich habe kein Alibi.“
    „Das ist ja interessant.“ Er spürte, dass er auf der richtigen Fährte war. „Gestern Abend aber sagten Sie doch, Sie hätten Herrn Knapproth am Nachmittag getroffen.“
    „Ach das. Ein Zufall, nicht wahr?“ Ingmar Hagedorn lächelte scheu. „Wo ich doch den ganzen Tag allein war. Nur zu Mittag war ich zu Hause. Und gestern Vormittag habe ich diese Enkelin von Frau Boysen in der Fußgängerzone getroffen.
    „Es geht mir ja nicht um Sie. Aber, Hand aufs Herz, war Knapproth wirklich in der Fußgängerzone um Viertel nach drei?“
    „Viertel nach drei?“ Pastor Falke sah überrascht auf. „Da ist der Mord geschehen.“
    „Eben. Sehen Sie, Hagedorn, vielleicht hat Sie ja Knapproth gebeten, für ihn auszusagen. Das würde nämlich gut zu ihm passen. Und so ein lieber Mensch wie Sie ...“
    „Den ganzen Tag war ich allein.“ Ingmar Hagedorn schien nicht zugehört zu haben.
    „Hat Knapproth Sie gebeten, für ihn auszusagen?“ Dr. Schneiber fand es an der Zeit, energisch zu werden. „Wie? Nein!“
    „Entschuldigen Sie mich“, Pastor Falke erhob sich, „ich möchte noch ein wenig spazieren gehen.“
    Ingmar Hagedorn wandte sich abrupt an Dr. Schneiber. „Ich ... ich hätte da auch noch eine Frage. Was ist die Strafe für Abschreiben? Ich meine, für ein Plagiat?“
    „Nun fangen Sie nicht damit an.“ „Genau!“ pflichtete Sybille Marxen ihm erschrocken bei. „Was soll das?“ Ihre Freundin warf ihr einen sonderbaren Blick zu.
    „Diese dumme Bemerkung von Schmidt vorgestern Abend. Das hat doch nichts zu sagen.“
    Und was bek„ommt man dafür?“
    „Nun, wenn Sie es genau wissen wollen, bis zu drei Jahren Haft. Oder eine Geldstrafe, die sehr hoch sein kann. Aber was hat das hiermit zu tun?“
    „Ich wollte es nur wissen.“
    „Sind Sie ein echter Pastor?“ Frank Falke schaute sich überrascht um. Neben ihm stand das junge Mädchen, das er bei den Boysens gesehen hatte. Was hatte Frau Boysen noch gesagt: ihre Enkelin?
    „Jessica. Ich bin bei Oma, das wissen Sie doch. Sind Sie nun ein echter Pastor?“
    „Ja.“
    „Meine Eltern lassen sich scheiden. Deshalb bin ich ja auch bei Oma und Opa. Doch ich muss in der Küche schlafen, weil alle Zimmer voll sind. Aber morgen krieg ich das Zimmer von der Leiche.“
    „Oh, das tut mir Leid.“
    „Mir macht das mit der Leiche nichts.“
    „Das meinte ich nicht. Ich meinte, dass deine Eltern sich scheiden lassen.“
    „Ach das“, sie machte eine trotzige Gebärde, „na und? Macht mir auch nichts. Ist deren Sache.“
    „Das glaube ich dir nicht.“
    Sie schwiegen. „Bist du auch spazieren gegangen?“ versuchte Frank Falke das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
    „Nein.“
    Auf einmal kam ihm eine Idee. „Du bist verliebt?“
    Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht. „Ja. Aber Oma darf das nicht wissen. Oma versteht das nicht.“ Sie sah ihn fragend an. „Sie sagen doch nichts, oder? Das dürfen Sie als Pastor nicht, oder? Hat unser Pastor gesagt.“
    „Ich sage nichts. Ehrenwort.“
    Er sah sie an. In gewisser Hinsicht beneidete er sie.
     „Ich freue mich für dich. Ist es ein netter Junge?“
    „Jungens sind doof.“
    „Aber ...“
    Sie streckte ihre Hand vor. „Das hat er mir geschenkt.“ An ihrer Hand glänzte ein Ring. „Der ist echt. Aber Sie dürfen Oma wirklich nichts sagen. Und morgen bekomm ich eine neue Karte fürs Handy. Meine ist abgelaufen.“
    „Dann bist du ihm aber viel wert. Er hat Geld, dein Freund?“
    „Hat er.“ Jessica grinste.
    Falke nickte. Sie standen vor dem Eingang zur Pension Deichkrone. Er sah, wie Jessica den Ring abnahm und verstohlen in ihre Tasche gleiten ließ. Dann, ohne zu klopfen, öffnete sie die Tür. Unvermittelt darauf tauchte Frau Boysens Gesicht aus der Küche auf.
    „Wo bist du gewesen, Jessica?“
    „Sie ist ein bisschen mit mir spazieren gegangen, Frau Boysen. Wir haben uns den Sonnenuntergang angeschaut und ein wenig unterhalten.“
    „Ach so, na dann.“
    Er wandte sich ab, wollte die Treppe hinaufgehen.
    „Herr Pastor ...“
    Er drehte sich wieder um. „Ja?“ Frau Boysen schien etwas auf dem Herzen zu haben.
    „Kommen Sie doch mit in die Stube. Ich muss mit Ihnen reden.“
    Sie gingen in die gute Stube.
    „Worum geht es denn, Frau Boysen?“
    „Ja, also. Gestern Abend, Sie wissen doch, nachdem wir alle unten gesessen hatten und die Polizei gekommen war ...“ Plötzlich sah sie ihn streng an. „Ich lausche nicht, wenn Sie das denken sollten. Das habe ich nie getan. Ich hatte mein Küchentuch vergessen, das war es. Und da habe ich durch die Tür gehört, wie sich die eine Frau bei der anderen für den Mord bedankt. Was sagen Sie nun?“
    Er sah sie verblüfft an. „Sind Sie sicher? Welche der beiden Frauen?“ „Ich weiß es nicht. Ich konnte es nicht heraushören.“
    „Die Polizei war doch auch heute Nachmittag hier, oder?“
    „Ich habe nichts gesagt. Ja, sie haben das Zimmer von Herrn Schmidt untersucht. Pastor Falke, verstehen Sie mich richtig, ich möchte keine Gerüchte in die Welt setzen. Es wird schon genug geredet.“
    „Das verstehe ich.“
    „Haben Sie sich gut mit Jessica unterhalten?“ Sie wechselte das Thema. „Ich mach mir Sorgen um Sie. Okke auch. Okke ist mein Mann. Sie ist bei uns zu Besuch, aber ...“
    „Wir haben uns gut unterhalten.“ Frank Falke überlegte, ob er etwas sagen sollte, etwas andeuten, unterließ es aber. Er war bei Jessica im Wort, hatte ihr versprochen, nichts zu verraten, auch wenn er sicher war, dass es Frau Boysen helfen würde, ihre Enkelin zu verstehen.
    „Stammen Sie eigentlich von der Insel?“
    „Ich komme von Wyk. Aber Okke ist von hier. Das heißt, eigentlich seine Eltern.“ Frauke Boysen ging bereitwillig auf den Themenwechsel ein. „Okke ist in Hamburg geboren. Seine Mutter ist dann zurück mit beiden Söhnen auf die Insel, nachdem der Vater tot war. Hatte was geerbt. Die Mutter hat dann das schöne Häuschen hier gebaut. Tja, meine Schwiegermutter hat es nicht einfach gehabt, allein mit den beiden Jungen. Und sie hat ... Was starren Sie mich so an?“

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