EVANGELISCHE ZEITUNG
   



| interview |    Verteidigungsminister Peter Struck (SPD)
schließt weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht aus

„Die Soldaten leisten
eine ausgezeichnete Arbeit“

berlin – Von Stabilität in den Einsatzgebieten der deutschen Bundeswehr kann nicht gesprochen werden, meint Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Interview mit der „Evangelischen“. Doch der oberste Dienstherr der Truppe kennt die Belastungen der Männer und Frauen vor Ort ebenso wie die schwierige Situation der Angehörigen in der Heimat.

  Herr Struck, Sie sind nach längerer Krankheit in den „aktiven Dienst“ zurückge- kehrt. Wie geht es Ihnen heute?
Peter Struck: Ich habe mich gut erholt. Ich bin froh, dass ich wieder im Einsatz bin und mich um die Belange der Soldatinnen und Soldaten und den Fortgang der Transformation der Bundeswehr kümmern kann.

  Wie schätzen Sie die Sicherheitslage für die deutschen Soldaten und Soldatin- nen in Afghanistan und – nach den Ausschreitungen in Prizren – im Kosovo ein?
Die Sicherheitslage im Einsatzgebiet des deutschen Einsatzkontingentes im Raum Kabul und der Region Kunduz ist überwiegend ruhig, aber nicht stabil. Die zunehmende Zahl von Zwischenfällen entspricht den Erwartungen im Zusammenhang mit der Wahlvorbereitung und -durchführung, dem Demilitarisierungsprozess und den Maßnahmen der Drogenbe- kämpfung.
     Die Anzahl der Gewalttaten im Kosovo sind seit den Unruhen im März zurückgegangen, die Lage ist vergleichsweise ruhig. Dennoch registrieren wir hier weiterhin Sicherheitsvor- kommnisse, von denen die Mehrzahl jedoch einen kriminellen Hintergrund haben. Von Stabilität kann deshalb noch nicht gesprochen werden.
     Insgesamt aber sind wir zuversichtlich hinsichtlich der Wirksamkeit und der Richtigkeit aller seit den Unruhen getroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit des deutschen Kontingents, aber auch der KFOR insgesamt.

  Rund 7000 Frauen und Männer sind im Rahmen internationaler Friedenseinsätze im Ausland. Weitere Anfragen liegen vor. Gerät die Bundeswehr durch diese Einsätze nicht an die Grenze ihre Leistungsfähigkeit?
Die laufenden Einsätze stellen natürlich eine große Belastung für die Bundeswehr dar, auch vor dem Hintergrund des laufenden Transformationsprozesses. Gleichwohl leisten die Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten und in Deutschland ausgezeichnete Arbeit. Dies wird von den Menschen vor Ort anerkannt. Die Bundeswehr genießt hohes Vertrauen und viel Respekt. Natürlich werden wir auch in Zukunft in jedem Einzelfall sehr sorgfältig zu entscheiden haben, ob Deutschland sich mit Streitkräften an einem Auslandseinsatz beteiligt.

  Das Bundestagsmandat für die Verlängerungen des Afghanistan-Einsatzes steht bevor. Wie muss ihrer Ansicht nach eine Gesamtkonzeption für den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch aussehen?
Eine Gesamtkonzeption für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan muss nicht neu formuliert werden, sie liegt bereits seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes vor. Auf der Petersberg Konferenz wurde im Dezember 2001 die Bonner Erklärung einvernehmlich zwischen den afghanischen Volksvertretern und der internationalen Gemeinschaft am verabschiedet. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in Umsetzung der Bonner Vereinbarung auch eine internationale Schutztruppe autorisiert und ihr klare Aufgaben und Befugnisse zugewiesen, um den Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Dazu leistet die Bundeswehr einen ganz wichtigen Beitrag.
     Das Bundestagsmandat sieht einen Einsatz deutscher Streitkräfte in Kabul und Umge- bung sowie in der Region Kunduz zur Wahrnehmung der Sicherheitsunterstützungsaufgaben vor. In diesem Rahmen unterstützen deutsche Kräfte bei der Reform des Sicherheitssektors sowie der Überwachung von Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kombattanten und tragen zur zivil-militärischen Zusammenarbeit bei. Zudem wirken sie jetzt bei der Absicherung der Wahlen in Afghanistan mit.

  Die von ihnen angestrebte Bundeswehrreform kommt nicht recht in Fahrt. An allen Ecken und Kanten fehlt das Geld. Wo muss sich die Bundeswehr künftig bescheiden und worauf muss verzichtet werden?
Ich kann Ihre Feststellung überhaupt nicht teilen. Der Umbau der Bundeswehr zu einer einsatzorientierten Armee, die in der Lage ist, ein verändertes Aufgabenspektrum zu bewältigen, läuft auf vollen Touren. Die Transformation der Bundeswehr hat Fahrt aufgenommen.
     Dazu gehört auch, dass die verfügbaren Mittel vor allem zum Erhalt und zur Verbesserung der militärischen Kernfähigkeiten eingesetzt werden. Wir sichern durch unsere mittelfristige Finanzplanung auf alle Fälle das, was die Bundeswehr heute und morgen an Material und Ausrüstung wirklich braucht, wir trennen uns konsequent von dem, was sie für die Anforderungen im 21. Jahrhundert nicht mehr benötigt. Wichtig ist, den Anteil der verteidigungsinvestiven Aufgaben weiter zu erhöhen. Hier sind wir auf gutem Wege.

  In welche Technologien soll besonders investiert werden, welche Waffen- und Aufklärungssysteme verlieren an Bedeutung oder verschwinden vollständig?
Zur Neuausrichtung auf den militärischen Bedarf der Zukunft wurde die bisher geltende Beschaffungsplanung auf den Prüfstand gestellt. Sie wird jetzt auf die zukünftigen Anforderungen in militärischen Einsätzen zugeschnitten. Wichtig dabei ist, sich konsequent an einem streitkräftegemeinsamem Ansatz zu orientieren. Damit stehen nicht mehr Entwicklung und Beschaffung von Plattformen im Mittelpunkt, sondern vielmehr Schaffung von Fähigkeiten.
     Im Ergebnis heißt dies Konzentration auf Führungs- und Informationssysteme, weltweite Aufklärung, strategischen Lufttransport, geschützten Transport im Einsatz, Luftmechani- sierung des Heeres, Herstellen einer Grundbefähigung zur Abwehr ballistischer Flugkörper und nicht zuletzt auf die persönliche Ausstattung und Bewaffnung des Personals im Einsatz.

  Und wie ist es mit den Soldaten selbst? Welche Fähigkeiten und welchen Grad der Ausrüstung hat der Bundeswehrsoldat von morgen?
Bezüglich der Ausrüstung messen wir dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz höchste Bedeutung zu. Er ist Grundvoraussetzung für die Auftragserfüllung, aber auch Ausdruck der Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr. Beispiele hierfür sind eine verbesserte ABC-Schutzausstattung, eine modulare Schutzweste, aber auch verbesserte Bewaffnung und Munition sowie Optroniksysteme und Führungsmittel.

  Sie haben angekündigt weitere 100 der 500 Bundeswehrstandorte in Deutschland zu schließen. Welche Kriterien sind dafür maßgeblich?
Ich werde im November über ein Stationierungskonzept entscheiden, das ausschließlich von militärischen und betriebswirtschaftlichen Kriterien bestimmt wird. Der Verteidigungs- minister ist nicht der Wirtschafts- oder der Infrastrukturminister. Wichtige Kriterien für künftige Standorte sind also zum Beispiel gute Ausbildungs- und Übungsmöglichkeiten, eine aufgabenorientierte und zweckmäßige Liegenschaftsbelegung, Möglichkeiten der Personal- gewinnung, aber auch die Qualität des sozialen Umfeldes für die Bundeswehrangehörigen und ihre Familien. Zu Buche schlagen auch notwendige Investitions- und Betriebskosten für die einzelnen Liegenschaften.
     Auf der Grundlage dieser Kriterien wird derzeit eine umfangreiche Bestandsaufnahme durchgeführt. Eines der wesentlichen Ergebnisse und zugleich ein Markenzeichen des neuen Stationierungskonzepts ist dabei die Bildung von Stationierungsschwerpunkten. Dies bedeu- tet mittelfristig für die Angehörigen der Bundeswehr auch eine Verringerung der Verset- zungshäufigkeit. Ich bin sicher, dass das neue Stationierungskonzept die feste Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft nicht beeinträchtigen wird.

  Noch einmal zurück zu den Soldaten und Soldatinnen im Einsatz. Ist die Unterstützung, die diese in der deutschen Gesellschaft erhalten ihrer Ansicht nach ausreichend. Oder würden sie sich eine stärkere Beschäftigung mit der Situation der Bundeswehrsoldaten wünschen?
Insgesamt, denke ich, können sich die Soldatinnen und Soldaten nicht über mangelnde Un- terstützung durch die Gesellschaft beklagen. Nach meiner festen Überzeugung trägt übri- gens die Allgemeine Wehrpflicht in nicht unerheblichem Maße dazu bei. Über die Wehrpflichtigen bleibt der Auftrag der Bundeswehr unmittelbarer Bestandteil des täglichen Lebens in unserem Land.
     Familienangehörige und Partner sorgen sich allenthalben um das Wohlergehen der Wehrdienstleistenden und alle Fragen sich, ob dieser Dienst sinnvoll ist und von ihnen grundsätzlich bejaht wird oder nicht. Die Allgemeine Wehrpflicht sorgt also für eine intensive Auseinandersetzung breiter Bevölkerungsschichten mit der Bundeswehr und ihrem Auftrag und fördert das Verständnis für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nur so entsteht eine so tragfähige Vertrauensbasis zwischen Gesellschaft und Armee, wie ich sie täglich erlebe.

  Wie sieht die Hilfe oder Unterstützung der Bundeswehrangehörigen zu Hause aus? Wie kommen die Familien der Soldaten mit der Situation zurecht?
Betreuung und Fürsorge sind unter Berücksichtigung der Besonderheiten des militärischen Dienstes feste Bestandteile im dienstlichen Alltag der Bundeswehr. Durch die zunehmende Anzahl an internationalen Einsätzen, aber auch infolge des eingeleiteten Transformations- prozesses der Bundeswehr mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf die Lebensführung und -planung aller Angehörigen der Bundeswehr haben spezifische Betreuungs- und Fürsorgemaßnahmen in den letzten Jahren aber noch an Bedeutung gewonnen. Die Einsätze der Bundeswehr belasten nicht nur die Soldatinnen und Soldaten selbst. Betroffen sind auch ihre Familienangehörigen und Partner.
     Um dem besser Rechnung tragen zu können, ist die Familienbetreuung zuletzt völlig neu strukturiert worden. Wir haben jetzt ein Leit-Familienbetreuungszentrum und 31 Familien- betreuungszentren mit hauptamtlichen, speziell ausgebildeten Mitarbeitern. Darüber hinaus betreiben die betroffenen Verbände bei Bedarf zusätzliche Familienbetreuungsstellen mit nebenamtlichem Personal. Im Rahmen der sogenannten Drehscheibenfunktion steht die Familienbetreuung den Soldatenfamilien in allen sozialen Fragen und Angelegenheiten sowie der Bewältigung vielfältiger Probleme des Alltags bei. Sie arbeitet dabei eng mit den Kirchen, dem Sozialdienst der Bundeswehr und anderen Stellen zusammen. Weiterhin wird den besonderen Belastungen und Erschwernissen bei Auslandseinsätzen auch durch die Zahlung eines vom Dienstgrad unabhängigen Auslandsverwendungszuschlags Rechnung getragen, der auch den Familien und Partnern zu Gute kommt.

  In den letzten Jahren wird immer wieder über die Schaffung einer Berufsarmee diskutiert. Noch ist die Abschaffung der Wehrpflicht kein Thema. Wie ist dazu ihre Position?
Als Verteidigungsminister befasse ich mich nun schon seit geraumer Zeit sozusagen berufsmäßig mit diesem Thema, verbinde jedoch auch tiefe emotionale Empfindungen damit. Ich bin davon überzeugt, dass die Allgemeine Wehrpflicht die beste Wehrform für unser Land ist und mache dies sowohl an gesellschaftspolitischen Argumenten als auch an sicherheitspolitischen und betriebswirtschaftlichen Erwägungen fest.
     Die Allgemeine Wehrpflicht berücksichtigt die geschichtlichen Erfahrungen Deutsch- lands und die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft, die anders sind als in Ländern mit einer ungebrochenen militärischen Tradition. Sie entspricht unserem Demokratieverständnis und ist Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger für unser Gemeinwesen. Zusammen mit der „Inneren Führung“ ist die Allgemeine Wehrpflicht zusätzlicher Garant für die Achtung der Menschenwürde und des Völkerrechts in der Bundeswehr und durch sie.
     Nur mit der Allgemeinen Wehrpflicht bleibt eine ausreichende Sicherheitsvorsorge gegen die Unwägbarkeiten der Geschichte und den internationalen Terrorismus für unser Gemeinwesen bezahlbar. Unsere Bundeswehr ist eine moderne, professionelle Armee und die Wehrpflichtigen steuern dazu eine enorme Bandbreite an Kenntnissen und Fähigkeiten bei. Die, die für eine Freiwilligenarmee plädieren, wollen oft eine andere Bundeswehr: die einen eine deutlich kleinere und weit weniger leistungsfähige, die anderen eine reine Interventionsarmee. Im Übrigen: Die Sicherheit unseres Landes ist keine Angelegenheit von wenigen Dienstleistern, sie geht uns alle an.

  Glauben sie, dass unter dem Aspekt der Terrorismusbekämpfung der Bundeswehr in Zukunft eine höhere Bedeutung zukommen wird?
Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus kann nur durch einen umfassenden Ansatz gelingen, der politische, wirtschaftliche, polizeiliche, militärische und andere Mittel umfasst. Alle für die Sicherheit zuständigen Kräfte und Institutionen müssen hier zusammenwirken. Auch die internationale Zusammenarbeit ist unerlässlich. Wir brauchen leistungsfähige Streitkräfte, um zusammen mit Verbündeten und Partnern den Terrorismus zu bekämpfen und Sicherheit und Stabilität in Krisengebieten zu gewährleisten.

  Wird es Spezialeinheiten geben, beispielsweise für Geiselbefreiungen oder ge- zielte Aktionen gegen Top-Terroristen im In- und Ausland?
Einsätze zur Rettung und Evakuierung von deutschen Staatsbürgern im Ausland gehören zum neuen Aufgabenprofil der Bundeswehr. Diese Aufgabe setzt die besonders schnelle Verfügbarkeit von Spezialkräften und Spezialisierten Kräften sowie entsprechenden Kräften zur Unterstützung voraus und unterliegt keinen geografischen Einschränkungen. Die hierzu erforderlichen Kräfte werden vorrangig in der Division Spezielle Operationen bereitgehalten. Sie umfassen vor allem Teile des Kommandos Spezialkräfte, aber auch Luftbewegliche Einheiten der Fallschirmjägerbrigaden, die bei Bedarf um Kräfte des Sanitätsdienstes, aber auch der Luftwaffe, der Marine und der Streitkräftebasis ergänzt werden. Insgesamt werden für diese Aufgabe ca. 1000 Soldaten und Soldatinnen bereitgehalten.

  Ist der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Eingreiftruppe, spezialisiert auf den Kampf gegen den Terrorismus, denkbar? Und wenn ja, ist eine Beteiligung der Bundeswehr als kämpfende Einheit überhaupt möglich?
Im Kampf gegen den Terrorismus verfolgt die Europäische Union einen umfassenden Ansatz. Es ist gerade die Besonderheit und die Stärke der EU, über Handlungs- möglichkeiten in verschiedensten Politikbereichen zu verfügen und diese auf ein spezielles Ziel hin bündeln zu können. Der eine Vielzahl von Maßnahmen und Initiativen umfassende und laufend fortgeschriebene Aktionsplan der EU zu Terrorbekämpfung verfolgt eben dieses Ziel. Militärische Handlungsoptionen sind auch in diesem Zusammenhang nur ein Baustein, wenn auch ein wichtiger. Ende letzten Jahres haben die EU-Mitgliedsstaaten erstmals eine gemeinsame Europäische Sicherheitsstrategie beschlossen. Darin wird der Terrorismus als eine der Hauptbedrohungen für Europa identifiziert. Und der Verfassungs- vertrag sieht vor, dass alle EU-Operationen, seien es zivile oder militärische, auch zur Be- kämpfung des Terrorismus beitragen können. Entsprechende militärische Fähigkeiten sind zum Teil schon vorhanden, teilweise müssen sie in gemeinsamer Kraftanstrengung noch geschaffen werden.
     Der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Eingreiftruppe, die auf den Kampf gegen den Terrorismus spezialisiert ist, ist nicht vorgesehen. Die EU hat jedoch die Notwendigkeit begrenzter, aber sehr schnell verfügbarer militärischer Kräfte zum Krisenmanagement erkannt. Ein mögliches Einsatzspektrum ist der Kampf gegen den Terrorismus. Die Planungen zum Aufbau dieser Kräfte laufen auf Hochtouren. Wir werden uns angemessen beteiligen.

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