FERIENLAGER
Junge Menschen aus 14 Ländern pflegten Kriegsgräber
So alt wie die Opfer
|
Mit geübtem Griff
heben Stefano (18, li.) und Támas (20) auf dem Kieler Nordfriedhof
einen Grabstein an, um ihn mit einem neuen Kiesbett zu versehen.
FOTO: AHLSCHWEDE
|
KIEL – Im Schatten alter Bäume wird Buchstabe für Buchstabe ein seit langem verwitterter Name wieder sichtbar. Ein junger Mann hält auf dem Kieler Nordfriedhof mit feinem Pinsel und schwarzer Farbe die Erinnerung an einen im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten wach.
Der junge Mann selbst heißt Andrej und ist Geschichts-Student an der Belorussischen Staatsuniversität. Im Rahmen eines Ferien-Jugendlagers des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge setzt sich der 22-jährige Weißrusse gemeinsam mit 35 anderen Teilnehmern aus allen Teilen Europas drei Wochen lang intensiv und ganz praktisch mit einer der leidvollsten Epochen in der Geschichte ihres Kontinents auseinander.
Der 125 Jahre alte Kieler Nordfriedhof bietet nach zwei Weltkriegen dafür reichlich Gelegenheit. Das Alphabet reichte offenbar gerade aus, um die Felder mit den langen Reihen der immer gleichen Steine zu bezeichnen: Auf Feld Z nahe dem Haupteingang nehmen die jungen Freiwilligen ihre Arbeit auf. Wo die Schrift gar nicht mehr zu erkennen ist, hilft eine Namensliste weiter.
Seit fünf Jahrzehnten bietet der Volksbund solche Jugendlager für 16- bis 25-Jährige an. 180 000 Freiwillige nahmen bereits teil. In Kiel stellten diesmal die Gäste aus Osteuropa die Mehrheit. Neben jungen Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Russen, Litauern und Esten kamen aber auch Italiener, Deutsche und Briten an die Förde. Drei Wochen lang reinigten und richteten sie Grabsteine, machten verblichene Namen wieder sichtbar, jäteten Unkraut und schnitten Hecken. Für ihre Freizeit hatte der Volksbund-Landesverband ein Rahmenprogramm vorbereitet. Geschlafen wurde im Internat der Städtischen Berufs- schulen, das Essen und einen Bus stellte das Marineflieger-Geschwader 5 in Holtenau.
Mit feinem Pinsel
und schwarzer Farbe macht der weiß- russische Geschichts-Student Andrej (22)
den Namen eines gefallenen Soldaten wieder sichtbar.
FOTO: AHLSCHWEDE
|
Zwar sei der Volksbund vorrangig für die Pflege deutscher Kriegsgräber zuständig, erläutert Jugendreferent Frank Niemanns, aber gerade mit solchen internationalen Gruppen wie dieser kümmere man sich stets gleichberechtigt auch um die Gräber von im Krieg umgekommenen Menschen aus anderen Ländern. Einige Arbeiten wurden auf dem kirchlichen Eichhof-Friedhof durchgeführt, wo Bombenopfer bestattet sind.
Seit acht Jahren ist Niemanns beim Landesverband Schleswig-Holstein für die Jugendarbeit zuständig. Vor fünfzig Jahren wurde sie als ständige und wichtige Aufgabe in der Satzung des 1919 gegründeten Volksbundes fest verankert, betont der 40-jährige Hauptamtliche. Die Angebote im Sommer seien für viele junge Menschen eine gute Möglichkeit, in den Ferien etwas Sinnvolles zu tun und Altersgenossen aus anderen Ländern kennen zu lernen.
In der Freizeit standen diesmal Ausflüge nach Berlin und Hamburg auf dem Programm, die Besichtigung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ein Besuch bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg und eine Wattwanderung. Die Gesamtkosten des Jugendlagers in Kiel schätzt Niemanns auf 20 000 bis 25 000 Euro, überwiegend finanziert aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Das Bundesfamilienministerium gab einen Zuschuss.
Rund 20 Stunden pro Woche sind für die Arbeit mit Pinsel und Schaufel, Hacke und Heckenschere reserviert. Die Zeit auf den Gräberfeldern führe den Teilnehmern die Folgen von Krieg und Gewalt sehr deutlich vor Augen, ist Niemanns überzeugt: "So ganz unbeeindruckt geht da keiner wieder weg."
|